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Landwirtschat zwischen Festungsmauern
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Von der Acker- zur Bürgerstadt
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Betrachten wir uns das wechselvolle Bild der Innenstadt, den Abriß
der uns vertrauten Straßen und Gemäuer, wird uns offenbar, was im
Laufe der Jahrhunderte durch Menschengeist und -hand geschaffen
wurde und verging. Schatzungs- und Heberegister des münsterschen
Domkapitels geben uns Kunde von den Bewohnern und der Struktur der
Stadt, aufgeteilt in die Stadtteile "up den Tyg", dem ältesten mit
dem Dorp, dem Kogeltimpen ............, dem jüngsten, später
zusammengefaßt in den Thie-. Münster- und .........
Sicherheit hinter den Stadtmauern
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Aus der Zeit der beiden ersten Stadtteile "den tye u. de stat" kün-
den die alten Bürger- und Bauernnamen nicht allein, daß die Träger
im Kirchen- und Gemeinwesen als ....... der Kirche, sowie als Rats-
herren und Schöffen im Gemeinwesen Verantwortung trugen, sie waren
in erster Linie und auch letztlich Bauern, die zwischen den Mauern
der Stadt eine ansehnliche Viehhaltung hatten.
In den unruhigen Zeiten, in denen die Faust mitregierte, wurden
immer wieder die Gehöfte vor den Toren der Stadt geplündert und
niedergebrannt, das Vieh abgeschlachtet und auch weggetrieben, so
daß die Hofstätte allmählich verfiel und zur Wüstung wurde.
Es wollen Kenner der Stadtgeschichte wissen, daß in einer Notzeit
vor den Toren der Stadt ansässige Bauern in die Stadt flohen und
sich an der Münstermauer, früher "an der Mauer" ansiedelten. In
dieser Zeitepoche galt Hab und Gut, selbst Wohnstätte, als sogenann-
te fahrende Habe, die man bei Gefahr abbrach und an anderer Stelle,
die Schutz versprach, wieder aufbaute.
Einen sicheren Schutz jedoch konnte die Stadt mit schützenden Thie-
bzw. Münstermauern sowie befestigtem Emsufer erst dann gewähren,
als Bischof Franz von Waldeck (1532 - 53) infolge der Wiedertäufer-
unruhen daranging, "de statmuren und porten" bauen bzw. erweitern
zu lassen. In diesen Zeiten war ein Gert Kremer (1531 - 63) Richter
in Rheine und ein Gert Dankelmann wird 1539 und 1545 als Gograf
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mehrmals erwähnt. Erst von dieser Zeit an konnte sich unser Gemein-
wesen zu einer Bauernstadt entwickeln.
Säland auf dem Thie
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Als sich das Gemeinwesen der Stadt Luft machte, indem man das Thie-
tor von der Marktstraße (Haus Bülte) zur Bäckerei Pompey (Am Thietor)
versetzte, wurde der Thie als Ackerland frei. Das größte Bauernge-
schlecht der Stadt, die Beckerings, wohnten viele Jahre am Markt, ihr
Säland jedoch, was aktenkundig belegt ist, laf auf dem Thie, so 1534
ein Lambert B. und ein Gerd B. im Jahre 1572 als Thiebauern. Das äl-
teste Einwohnerregister stammt aus dem Jahre 1449. Es ist ein in ein
Notenblatt gebundenes Register des Lohnherren Johannes Bode.
50 Jahre später, im Jahre 1498, wurde im ganzen Oberstift des Bistums
Münster eine Personenzählung und Einschätzung durchgeführt. Es war die
Willkommschatzung zum Regierungsantritt des Bischofs Konrad von Riet-
berg, sie galt der Ermittlung des Familienstandes und einer Steuerbe-
trages in Schilling.
Auch Bienenvölker ermittelt
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Im Jahre 1534 ordnete Bischof Franz von Waldeck (1532 - 53) die Vor-
nahme der ersten großen Schatzung im ganzen Bistum Münster an. Diese
erstreckte sich auf Angabe des Personenstandes, Anzahl der Dienstleute,
Anzahl und Gattung des Viehes, Zählung der Bienenvölker sowie der
Steuereinschätzung. Sie vermittelt uns einen Einblick in die Ge-
schichte unseres heimat- und bodenständigen Bauerntums innerhalb der
Stadtmauern. Diese Schatzung wurde zu der Zeit durchgeführt, in der
unsere Stadt noch 2 Stadtteile hatte. Für das ganze Gemeinwesen, daß
sich auf 39 Familien des Thiees und 66 der Stadt Rheine, die sich
sämtlich mit der Landwirtschaft beschäftigten erstreckte, wurden er-
mittelt: 86 perde, 309 koye, 118 rynder, 78 swyne, 79 ferken, 141
sape (Schafe) und 37 yme (Bienenvölker).
Selbst Geistliche hielten Vieh
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Auch "de Presters" = Priester finden wir in den Schatzungslisten
aufgeführt. Erstlich "de Pastor", dessen Namen leider nicht er-
mittelt werden kann, hatte in seinem Stall 4 Kühe, 3 Rinder und
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1 Schwein und zahlte dafür 1 Mark Steuer. Die übrigen Geistlichen
mit Namen Her Dirick, Her Frederick, Her Henrick Ocke sowie ein
M = Mester Gert Bodde hatten insgesamt 12 Kühe, 4 Rinder und 10
Bienenvölker zu betreuen.
Bei der Aufzählung der Stadt-Ackerer treten uns Namen entgegen,
die fast alle nicht mehr dem Bauernstand zuzurechnen sind. Zunächst
ist es der Lambert Beckering vom Thie, der 4 Pferde, 8 Kühe, 6 Rin-
der, 10 Schweine und 8 Ferkel in seinen Ställen hatte und zu 4 Mark,
6 Schilling und 11 Deut veranlagt war. Nicht viel nach stand ihm ein
Herman Bodde vom Thie, der 3 Mark u. 11 Schilling zu zahlen hatte.
Eine noch größere Viehhaltung hatte in der Stadt der in der Stadt-
geschichte oft genannte Roleff Plugge, der 5 Pferde, 3 Kühe, 2 Rinder
und 11 Schilling veranlagt war. Ihm dicht auf waren in der Schatzung
ein Vastert Lodige, Joh. Hannemann und Tonies Degener, deren Namen
als Bauern heute nicht mehr genannt werden.
Das Mahlen der Brotfrucht.
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Bedeutung für die Nahrung der Stadtbewohner wurde dem Mahlen der
Brotfrucht beigemessen. In alten Zeiten war jedoch jedes Mühlrecht
ein Herrenrecht. Es ist bekannt, daß neben der Kornmühle an der Ems
auch die am anderen Ufer liegende (heute verschwundene) Walk- oder
Oelmühle im Besitz der fürstlichen Hofkammer war. Wenn die Emsmühle
infolge höherer Gewalt (Hoch- oder Niedrigwasser) ihren Betrieb ein-
stellen mußte, bedienten sich Rat und Gemeinwesen der kleinen Herren-
mühle, die früher vor dem "Steinernen Haus" lag (früher Weinhandlung
Vosshenrich).
Da sie vor dem als Burgmannshof bezeichneten "Steinernen Haus" lag,
dazu noch als Herrenmühle bezeichnet wurde, gehen wir nicht fehl,
daß auch diese kleine Mühle dem Vorrecht des ortsansässigen Burgmanns-
adel zur Verfügung stand.
Mühle und Waschplatz
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Das Wasser erhielt die kleine Mühle aus der Dutumer Mulde bzw. vom
Waldhügel. Vor dem Rad der kleinen Mühle hat der "Gosediek" (Gänse-
teich) gelegen, der in der Stadtgeschichte mehrfach Erwähnung findet
und den Frauen in der Stadt als Waschplatz überlassen war. Im Jahr
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1450 zahlte der Lohnherr der Stadt den zwei Greneren (Grabenden),
die Teich und "Gosebrugen" (-brücke) makenden, je einen Buteken
(kleine Geldmünze). Vom Jahre 1602 wird uns gemeldet, daß der Rat
der Stadt dem Anton Hoet d.j. und dessen Frau den Grund und Boden
zwischen Gosedyk und des Pächters Haus auf 8 Jahre unter dem Vor-
behalt verpachtet, daß die Bürgerschaft den PLatz als Waschplatz
gebrauchen kann.
Roggen für Notzeiten
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So hatte fast jeder Ackerbürger neben dem Heu- und Strohboden auch
einen kleinen Kornboden. Wir wissen aus der Geschichte der St. Ni-
colaykirche (1906 abgebrochen), die den Insassen des alten Hospi-
tals zum Hl. Geist als Gotteshaus diente, daß der befestigte Dach-
boden der Kirche als Kornkammer benutzt wurde. Ebenso war der
Boden über dem Bürgersaal im Falkenhof ein wichtiger Kornspeicher.
Auf die Haltung eines Getreidevorrates lagten die Ratsmänner der
Stadt großen Wert. So wird im Jahre 1506 ein Kornspeicher auf dem
Thie erwähnt. Vom Jahre 1569 besagt eine Urkunde: ein Jakob Voß,
Dekan am alten Dom in Münster, bestätigt die von Joh. Kannegeiter,
Bürgermeister, und Heinrich von Wischel, Ratsmann, als Vertreter
der Stadt geschehene Stiftung von 112 Reichstalern zur Beschaffung
von Roggen in Zeiten der Not.
Sorge ums liebe Brot
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Jedoch soll in dieser Abhandlung eine betrübliche Schattenseite
in der damaligen Ernährung nicht unerwähnt bleiben. Wir finden
uns zurückversetzt in die Entbehrungszeiten der beiden Weltkrie-
ge, wenn wir lesen, daß im Jahre 1740 im Auftrage des Churfürsten
von Köln, Bischof von Münster, der Fürst zu Plettenberg ein Edikt
(Erlaß) wegen Kornfrüchten erläßt.
In diesem wird der Landbevölkerung vor Augen geführt, daß das liebe
Brot sehr teuer sei und der bedürftige Mann es nicht mehr erhalten,
noch bezahlen kann. Die Obrigkeit befürchtet schwere Krankheiten,
Seuchen, selbst große Hungersnot und ermahnt alle Untertanen fürst-
väterlich zur Abgabe allen Brotgetreides, damit eine allgemeine
Durchsuchung der Bauernhäuser und deren Speicheren erspart bliebe.
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Von der Acker- zur Bürgerstadt
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Ein volles Jahrhundert, von 1500 bis 1600, war Rheine ein ausgespro-
chenes Ackerstädtchen, erst nach 1600 setzte Gewerbe und Handwerk
der Stadt einen besonderen Stempel auf.
Zum Vergleich mit der geschilderten Viehhaltung vom Jahre 1534 sei eine
Zählung aus dem Jahre 1850 erwähnt, in der nachgewiesen wird, daß in-
nerhalb der Stadt 615 Schweine, 179 Kühe, 174 Ziegen und 99 Pferde
gezählt wurden, die aber größtenteils der Selbstversorgung bzw. dem
zusätzlichen Nebenerwerb dienten.